Sunday, September 11, 2016

Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis in St. Pölten

14. Sonntag nach Trinitatis
22. Sonntag im Lesekreis
Sir 3,17-18.20.28-29; Hebr 12,18-19.22-24a; Lk 14,1.7-14
Altkatholische Bürgerspitalkirche, St. Pölten
28 August 2016
Pfarrer em. Dr. Walter Baer

Ausnahmsweise, werde ich heute hauptsächlich die Epistel-Lesung anstatt das Evangelium zum  Predigttext nehmen.

Heuer in den letzten zwei Monaten waren unsere Epistel-Lesungen aus dem Hebräerbrief, das für mich ein höchst interessantes Buch ist, aber zugleich eines der kompliziertesten Bücher des Neuen Testaments darstellt. Im heutigen Text kommen wir zu einem gewissen Höhepunkt.

Bibelstelle: Hebr - 12,18-19.22-24a
Schwestern und Brüder! Ihr seid nicht zu einem sichtbaren, lodernden Feuer hingetreten, zu dunklen Wolken, zu Finsternis und Sturmwind, zum Klang der Posaunen und zum Schall der Worte, bei denen die Hörer flehten, diese Stimme solle nicht weiter zu ihnen reden; Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes.

Jeder wird die Feier des Gottesdiensts auf seine Weise erleben. Obwohl es ein und derselbe Gottesdienst ist, den wir zusammen feiern, so sehr verschieden sind unsere Erwartungen und unser Verständnis dessen, von dem was hier eigentlich geschieht. Vielfach unterschiedlich, was uns davon wichtig ist; vielfältig nicht zuletzt die Stimmung, in der jeder hier her kommt. So verschieden die Erwartung und Erfahrung ist, so verschieden ist auch das, was man vermisst.

Nicht Wenige suchen in der Messe vor allem die Erfahrung des Heiligen. Auch wenn man es anders benennt, ist unverkennbar die Suche nach dem, was nicht beliebig verfügbar ist, vorrangig. Zu vieles ist banal, und es keimt daher die Hoffnung, dass etwas Göttliches aufscheint, das zumindest diesen Augenblick der Banalität entreißt. Die Suche nach dem Heiligen fasziniert gerade deswegen, weil es unnahbar ist, der Verfügung der Menschen entzogen ist.

Manche führt dies in die wenigen Gottesdienste, die in geheimnisvollem Latein und in der alten Form gefeiert werden, so wie sie im 16. Jahrhundert festgelegt worden sind. Manche führt dies zu einer orthodoxen Kirche mit ihren zauberhaften Ikonen und mysteriösen Gesängen. Die Verteidiger der alten lateinischen Messe des Spätmittelalters fühlen sich ganz und gar nicht als Auslaufmodell. Sie meinen irgendwie den Gral zu hüten, der erst noch erstrahlen wird. Sie fühlen sich nicht selten als die "wahre Kirche", während die breite Palette der römisch katholischen Gemeinden, ganz geschweige von altkatholisch oder evangelischen Gemeinden, der Häresie der Formlosigkeit verfallen sind.
Auch bei den Traditionalisten ist viel Individualismus im Spiel. Bei den älteren sind es Kindheitserinnerungen an das Numinose, Unverstandene, das sie doch intensiver erlebt haben, als alles, was moderne Liturgie ihnen jetzt bietet. Aber auch Jüngere finden sich in diesem Publikum. Es sind jene, die sich als Avantgarde der Wiederkehr des Wahren und Alten fühlen, auch wenn sich dieses Gefühl nur mit viel Polemik gegen den status quo behaupten lässt. Gemeinsam ist aber den meisten Traditionalisten, dass sie der Kirche vorwerfen, das Heilige aus dem Gottesdienst eliminiert zu haben und die Messe banalisiert zu haben.

Als amerikanischer Priester der Episkopal Kirche, in der Musik und Zeremonie hoch geschätzt wird, ist mir eine traditionsreiche fulminante Messe lieb. Es wird aber immer mit einer sehr weltoffenen und liberalen Ethik verbunden. Das heißt, dass traditionsreich nicht mit theologisch konservativ oder traditionalistisch gleichgestellt werden muss.
Der Hebräerbrief kann leicht missverstanden werden. Nicht nur die Passage aus der heutigen Lesung könnte so klingen, als richte sich der Text gegen das Alte Testament, gegen Mose und gegen die Offenbarung am Berg Sinai. Diese Interpretation übersieht aber, dass der gesamte Brief seine Argumente auf dem Boden des Alten Testamentes und der Offenbarung an das Volk der Juden entwickelt. Deswegen auch wurde diese Ermutigungsschrift aus dem späten ersten Jahrhundert später "Hebräerbrief" genannt.

Der Hebräerbrief ist nicht gegen das Alte Testament gerichtet. Er zeigt die Fortführung, die Erfüllung und die Überbietung der Offenbarung im Alten Bund durch das Kommen Gottes in Jesus Christus. Er zeigt den Menschen aus allen Völker, dass sie zu dem einen Volk Gottes berufen sind. Gerade in der heutigen Lesung wird deutlich, dass dieser Weg eine Richtung hat. Vom sinnlich-greifbaren Bereich in den geistlichen Bereich, vom erdverbundenen zum himmelverbundenen Ereignis. Darum betont die Lesung den Gegensatz von der Erfahrung des Moses-Bundes vom Berg am Sinai zum neuen Bund in Christus.

Die alte Erfahrung betont den Schrecken Gottes. Das Feuer ist ein solches Bild der Erfahrung des unnahbaren, heiligen Gottes. Die dunkle Wolke, der Sturmwind, die Stimme wie eine Posaune, mit all dem hat das Volk Israel die Erscheinung Gottes beschrieben und in der Erfahrung, dass Gott heilig ist: „mysterium tremendum“, ein erschütterndes und begeisterndes Geheimnis geformt.

Dazu, sagt der Hebräerbrief, sind wir in der Taufe nicht hingetreten, sondern zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem. Das Geistige des Neuen wird hier betont gegenüber dem Sinnlichen Alten. Stand das Volk am Sinai voll Schrecken gebeugt auf der Erde, so sieht der Hebräerbrief das Neue Volk einziehen in die Gemeinschaft der Vollendung im Himmel.

Es fällt auf, dass die Gotteserscheinung am Sinai nur äußerlich beschrieben wird. Nicht um die Offenbarung Gottes oder um den Inhalt, die zehn Gebote, geht es, sondern um die Form der Erfahrung. Nicht zuletzt geht es um den Kult, dem Ritual. Im neuen Bund, in Jesus Christus, ist Gott den Menschen auf eine Weise nahe gekommen, dass die Erscheinung Gottes nicht mehr mit Schrecken verbunden ist. Am Karfreitag wurde der Vorhang im Tempel zerrissen (so steht es in alle vier Evangelien - vgl Mt 27,51), weil Gott sich in seiner Liebe gezeigt hat. Gott der Richter Aller, tritt für die Armen ein und lädt sie in sein Reich ein. Sie stoßen zur Festversammlung im Himmel.

So auch die Botschaft unseres heutigen Evangeliums.

Das ist es, was wir im Gottesdienst feiern. Deswegen trägt die Eucharistie Züge einer Versammlung und eines Mahls. Aber darüber darf nicht vergessen werden, wie heilig diese Versammlung ist und wie heilig Gott in unserer Mitte ist. Die Liturgie darf daher nicht einseitig nur noch die Gemeinschaft darstellen, weil es nicht irgendeine beliebige Gemeinschaft ist, sondern die Versammlung um Gottes Thron. Darum geht etwas Wesentliches verloren, wenn die Erfahrung des Heiligen aus der Messe verbannt wird, wenn es hier nur mehr um Geselligkeit, ergänzt um etwas Belehrung, geht. In der Symbolik der heiligen Eucharistie soll darum die Heiligkeit Gottes erfahren werden, gerade weil er uns so nahe ist.

Mit der Vielfalt der Kulturen und Erfahrungen wandelt sich auch die Gestalt der Messe. Aber jede Kultur und jeder einzelne von uns bleibt aufgefordert, den Gottesdienst in einer Form zu gestalten und mit zu feiern, in der das Geheimnis der Gegenwart Gottes nicht verloren geht. Der Hebräerbrief weist den Weg von der schreckenden Erfahrung zur Anbetung. Nicht ob wir knien oder stehen macht den Unterschied. Man kann sich kniend in die Bank plazieren aber auch herumstehen, als würde man am Bahnhof auf den Zug warten. Man kann aber auch niederknien vor dem Geheimnis Gottes im Sakrament oder auch voll Ehrfurcht und in Anbetung s vor dem Heiligen in unserer Mitte stehen. Immer ist es Christus, durch den wir beten und ist es der Herr, der Herr der unendlichen Liebe, dessen Gegenwart unsere Versammlung erfahrbar macht.

Im heutigen Evangelium geht es um eine Mahlzeit im Haus eines Pharisäers. Aber, bei Mahlzeiten im Lukasevangelium geht es nicht nur über einzelne Mahlzeiten. Jede Mahlzeit in den Evangelien verweist auch auf, und sagt uns etwas über die Eucharistie, in der wir uns finden, wenn das Evangelium hören. Wir sind nicht im Hause des Pharisäers zu Gast, wo wir beobachtet und qualifiziert werden. Als wir die Türen zu unserer Kirche heute betreten haben, sind wir durch eine Tür der Liebe und Gnade getreten. In den Augen der Welt, ist was hier passiert, alles umgedreht. Wir werden als die Gäste geehrt, nicht wegen dem, was wir getan haben und nicht zu Verdienst gemacht haben, sondern weil Jesus unser Gastgeber uns, seine geliebte Gäste, Brüder und Schwestern, miteinander zu sein berufen hat,.


Er hat uns nicht wegen unserer herausragenden Leistung in der Welt eingeladen, sondern weil er uns liebt. Seine Worte und Taten haben uns davon überzeugt, dass wir an diesem Tisch eingeladen sind, ob wir als erster oder letzter kommen. So nähern wir uns dieser Mahlzeit mit Freude und tiefer Dankbarkeit, dass unser Gastgeber uns gesehen und erkannt hat, uns als volle und gleichberechtigte Teilhaber zum Bankett gerufen hat, das er so liebevoll für uns vorbereitet hat. Jesus ist heute unser Gastgeber und kommt zu jedem von uns und sagt: „Mein Freund, rück weiter hinauf!“  Amen.

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